Der „Anschluss“-Jahrestag muss uns zu denken geben

In der Nacht von heute auf morgen – von 11. auf 12. März – wurde vor nun 82 Jahren Österreich von der deutschen Wehrmacht besetzt. Als „Anschluss“ wurde das bezeichnet.

Zahlreiche Österreicherinnen und Österreicher jubelten. (Sie durften sich fortan nicht mehr so nennen, denn der Name unseres Landes durfte nicht mehr genannt werden.) Viele waren schon jahrelang im Untergrund in den nationalsozialistischen Terrororganisationen aktiv gewesen. Unzählige Bombenanschläge waren von den „illegalen Nationalsozialisten“ verübt worden, und ganz viel Gift und Galle war gesellschaftlich verbreitet worden. Der Aspekt des jahrelangen Terrors ist vielen auch historisch Interessierten nicht sehr geläufig – vermutlich deshalb, weil die Jahre danach aufgrund der monströsen Verbrechen des Nationalsozialismus beinahe überlagern, was davor los gewesen war.

Man kann nicht oft genug betonen, dass viele Österreicherinnen und Österreicher durch Vorbereitungshandlungen und durch konkrete Taten Schuld auf sich geladen und den nationalsozialistischen Verbrecherstaat mitgetragen haben. Und Ja: Das geht auch uns später Geborene an, weil wir zwar nicht selbst schuldig werden konnten, aber sehr wohl die Verantwortung haben, den Versuch zu unternehmen, zu begreifen, wie all das passieren konnte, Derartiges mit allen Mitteln zu verhindern, und den nächsten Generationen zu vermitteln, was wir an Schlüssen ziehen und wie wir beharrlich daran arbeiten, das ansich unbegreifliche Verbrechen zu begreifen.

Die Nationalsozialisten in unserem Land hatten schon Listen von Menschen vorbereitet, die nach dem Anschluss festgenommen, inhaftiert, teils gefoltert, teils getötet – ermordet! – werden sollten. Und so geschah es auch. So kam es unter anderem zum so genannten Prominententransport. Dieser führte ins Konzentrationslager Dachau.

Es hat mich berührt, dass meine nun 15jährige Tochter Lisa am vergangenen Wochenende auf der Rückfahrt von einem Ausflug nach Augsburg sich dafür interessiert hat, die Gedenkstätte am Standort des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau zu besuchen. – Tatsächlich verbrachten wir dort dann fast drei Stunden. Es war erschütternd und lehrreich, auch für mich.

Und ich musste dort daran denken, dass mit diesem „Prominententransport“ Menschen nach Dachau verbracht wurden, die dem Nationalsozialismus nicht zuletzt deshalb ein Dorn im Auge waren, weil sie für ein unabhängiges Österreich eingetreten sind. Etwas, das ich erst vor wenigen Jahren verstanden habe – und zwar aus dem lesenswerten Buch von Gudula Walterskirchen namens „Die blinden Flecken der Geschichte“, das mir mein Kollege Karl Taschner geborgt hatte – ist, dass Menschen aus beiden (!) großen politischen „Lagern“ die Selbstständigkeit Österreichs verteidigen wollten, ja dass kurz vor dem so genannten „Anschluss“ sogar ein Schulterschluss zum Greifen nahe gewesen war. Wer mehr darüber wissen will, sollte das Buch lesen.

Aber Österreich war nach innen geschwächt, besonders weil der Parlamentarismus und damit die Demokratie ausgeschaltet worden waren.

Und es war nach außen geschwächt, besonders weil es verabsäumt worden war, Österreich einen anerkannten Platz in der Staatengemeinschaft zu erarbeiten. Da ist es nur schlüssig, dass im Völkerbund – der Vorgängerorganisation der UNO – nur ein einziger Staat gegen den „Anschluss“ protestiert hat: Mexiko. (Deshalb trägt der Mexikoplatz in Wien seinen Namen.)

Wie anders geht es uns heute!                                      

Generationen vor uns haben die Europäische Union aufgebaut und entwickelt. Wir stehen sinngemäß auf den Schultern dieser Generationen. Die Probleme, an deren Bewältigung wir arbeiten, sind maximal „Problemchen“ im Vergleich zu den Verwerfungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Dass wir in dieser Situation sind, für die wir dankbar sein dürfen, darf nicht dazu führen, dass wir „die Hände in den Schoß legen“. Im Gegenteil: Weil wir die heutige Europäische Union von den Generationen vor uns gleichsam geschenkt bekommen haben, müssen wir sorgsam mit ihr umgehen, sie gut weiterentwickeln, und auch den kommenden Generationen ein gutes Europa übergeben. Und Europa ist heute so stark, dass es im Sinne seiner Werte auch weltweit einen Beitrag leisten muss. Dafür ist viel zu tun.

Dazu gehört auch, mahnend an den „Anschluss“, dessen Vorgeschichte, an Dachau, an den Holocaust, die Shoa, die mehr als sechs Millionen ermordeten jüdischen Menschen, und an die Gefahren, die in den boshaften Seiten von Menschen lauern, zu erinnern.

11. März 2020 Blog

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