Neue Regierungen im Kosovo und in Österreich: Happy Hour Of Free Speech

In jeder Plenarwoche des Europa-Parlaments veranstalte ich die „Happy Hour Of Free Speech“.

Dort gibt es die Möglichkeit für jede und jeden, das Wort zu ergreifen, die eigene Meinung zu teilen, und diese mit anderen Teilnehmenden zu reflektieren. Übersetzung wird auf Englisch, Französisch und Deutsch angeboten.

Das Schwerpunktthema dieses Mal waren das Zustandekommen und die Zukunftsprojekte der fast gleichzeitig gestarteten neuen Regierungen in zwei wichtigen europäischen Staaten: nämlich im Kosovo und in Österreich.

Neben mir kamen dazu Impulsstatements von meiner Kollegin von den Grünen im Europa-Parlament, Monika Vana. Sie leitet auch die Delegation der Grünen. Außerdem haben Mimoza Ahmetaj, diplomatische Vertreterin bei Europa-Parlament und den anderen Institutionen in Straßburg, sowie Konstanze Geiger, unsere rot-weiß-rote Repräsentantin in der ständigen Vertretung Österreichs bei der EU, die für das Europa-Parlament zuständig ist.

Mimoza Ahmetaj sprach alle „heißen Eisen“ an: sowohl jene, in denen die EU viel Vertrauen durch Verzögerungen und das Brechen von Versprechen zerstört hat, wie das besonders bei der zugesagten Visaliberalisierung – visafreies Reisen für die Bürgerinnen und Bürger des Kosovo, wie es für jene aller anderen fünf Westbalkan-Staaten sowie für die Georgiens oder der Ukraine schon gilt; als auch jene, in denen der neuen kosovarischen Regierungen harte Entscheidungen bevorstehen, etwa zur Nachfolge für das sehr schmutzige Kohlekraftwerk in der Nähe der Hauptstadt Pristina: hier geht es darum, ob das neu Kraftwerk ein – weniger schmutziges – Kohlekraftwerk wird, oder auf neue Technologien gesetzt werden soll.

Auch die Zölle des Kosovo auf serbische Waren und Dienstleistungen, die auch von mir vom ersten Tag an abgelehnt wurden, weil Zölle eher nicht dazu geeignet sind, das Miteinander zu stärken, sondern eher das Gegenteil bewirken, wurden von der engagierten Diplomatin angesprochen. Sie präsentierte die Position der kosovarischen Regierung, im Sinne der Reziprozität die Zölle zurückzufahren und letztlich abzuschaffen – also gegen eine Reduzierung serbischer Aktivitäten, die dem Kosovo schaden, auf die Zölle zu verzichten. Der Ansatz ist gut, denke ich. Es muss aber wirklich zur Umsetzung kommen.

Insgesamt war selbstverständlich das gute Miteinander der ethnisch albanischen Mehrheit mit den ethnischen Minderheiten im Kosovo, die entsprechend der Verfassung des Kosovo in der Regierung und im Parlament entsprechend vertreten sind, ein Thema im Impulsstatement von Ahmetaj. Besonders die serbische Minderheit wurde positiv erwähnt, ebenso wie die Wichtigkeit einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien. Das steht auch ganz oben auf der Prioritätenliste der Europäischen Union und auch Österreichs. Der Dialog zwischen dem Kosovo und Serbien muss erfolgreich abgeschlossen werden. Sonst bleibt die gesamte Region auf ihrem Weg der EU-Integration blockiert.

Eine Frage aus dem Publikum betraf das kritische Thema eines „Großalbanien“. Ahmetaj betonte dazu, dass der Premierminister eine solche Zielsetzung nicht formuliert habe und sich um die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen innerhalb des Kosovo bemühen werde. Ich ergänzte dazu, dass die Idee eines Großalbanien genauso ideologisch motiviert und auf sinnlose Konflikte ausgerichtet sei wie die Idee eines „Großserbien“. Durch beide Zugänge wird der Kosovo aus nationalistischen oder ethnischen Gründen zwischen zwei Staaten hin- und hergezogen. Dabei ist die Republik Kosovo eine Erfolgsgeschichte, auf Initiative der EU und der USA nach einem furchtbaren Krieg einem Volk auch einen Staat zu ermöglichen, mit einer modernen Verfassung und voller Unterstützung für den Aufbau von Staat und Gesellschaft entlang der europäischen und westlichen Werte, die auch weitgehend gut genützt wurde und wird. Es bleibt noch viel zu tun.

Monika Vana betonte die Unterschiedlichkeit der beiden neuen Regierungsparteien in Österreich, verwies aber auch auf gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit dieser beiden Parteien auf regionaler Ebene und auch im Europa-Parlament. Vor allem Letzteres kann ich deutlich bestätigen.

Vana betonte auch, dass Österreich nun historisch die Regierung mit dem niedrigsten Durchschnittsalter, mit dem meisten Frauen und – in der Person von Justizministerin Alma Zadic – mit einem Regierungsmitglied mit Migrationshintergrund habe.

Zwei Dinge waren mit an den Ausführungen von Monika Vana besonders wichtig:

Erstens der Hinweis darauf, dass wir in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche und sogar Spaltungen („Divisons“) leben, und daher – sinngemäß – vernünftige Politik gefordert und verpflichtet sei, Kompromisse zu schließen. „Kompromisse sind eine gute Sache“, sagte Monika Vana. Da kann ich als jemand, der Österreich parlamentarisch vertreten darf und weiß, dass man auf dem Weg des Kompromisses am meisten herausholen kann, nur zustimmen.

Zweitens hat Monika Vana auf eine Nachfrage von einem Teilnehmer den wichtigen Begriff der Subsidiarität, der ja Österreichs Reformansatz für die EU gut beschreibt, sehr gut erklärt, nämlich ausführlicher als das oft in der Öffentlichkeit geschieht, und auf den Punkt gebracht: Subsidiarität bedeutet nicht, dass alle Entscheidungen und Maßnahmen auf einer kleineren Ebene angesiedelt werden. Vielmehr bedeutet sie, dass in einem ständigen Prozess ausgelotet wird, welche Ebene die richtige und passende für eine bestimme Herausforderung ist.

Ich ergänze dazu: vorgelagert gilt es selbstverständlich auch, zu entscheiden, wo überhaupt die Politik und die staatliche Ebene steuern oder eingreifen sollen, und was besser der Freiheit der Einzelnen, der Familie, Haushalte beziehungsweise der Betriebe oder der Zivilgesellschaft überlassen bleibt.

Konstanze Geiger hat zu den europa- und außenpolitischen Schwerpunkten Österreichs laut dem neuen Regierungsprogramm sowie zum Verhältnis zwischen Österreich und dem Kosovo referiert.

Auch bei Geiger spielte daher die Subsidiarität eine zentrale Rolle. Außerdem betonte sie die ungebrochen klare pro-europäische Haltung Österreichs, die auch zur Reformorientierung für die EU führt und das Ziel eines neuen EU-Vertrags beinhaltet. Besonders wichtig sei das EU-Engagement in den Bereichen Migration, Außengrenzschutz, Klimawandel, Wettbewerbsfähigkeit und Digitalisierung.

Auch das Ziel einer Verkleinerung der EU-Kommission mit einem Rotationsprinzip für das Vorschlagsrecht für Kommissions-Kandidatinnen und -Kandidaten aus den Mitgliedsstaaten wurde von Geiger thematisiert. Besonders wichtig erscheint mir unter den von Geiger genannten Reformansätzen für die Struktur der EU die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in einigen Materien – etwa in außenpolitischen Fragen – im europäischen Rat der mitgliedsstaatlichen Regierungen.

Aus den außenpolitischen Schwerpunkten griff die diplomatische Vertreterin Österreichs unter anderem das Ziel der weltweiten Abrüstung, einer Welt ohne Atomwaffen, den Kampf gegen Antisemitismus und für eine Lösung im Nahost-Konflikt heraus.

Im Bezug auf den Westbalkan im Allgemeinen betonte Geiger die klare Position Österreichs für die Beitrittsperspektive der sechs Staaten. Im Bezug auf den Kosovo im Speziellen unterstrich sie die exzellenten bilateralen Beziehungen, die Tatsache, dass nach großen beziehungsweise wirtschaftsstarken Ländern wie Deutschland, der Türkei und der Schweiz Österreich an vierter Stelle bei den Investitionen im Kosovo ist, und gleichzeitig den Kosovo als Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit definiert hat. Hier würden derzeit 16 Projekte laufen. Zu den unmittelbaren Prioritäten Österreichs gehöre die Umsetzung der oben erwähnten Visaliberalisierung, die auch ausdrücklich im Regierungsprogramm erwähnt ist.

Ich denke, ein neuer EU-Vertrag ist nicht nur dringend und wichtig, er könnte auch in Wien verhandelt und verabschiedet werden. Einer der Gründe dafür ist dieser: Zu den zentralen Herausforderungen im Innenverhältnis Europas gehört ein besseres Miteinander zwischen Ost- und Westeuropa. Hier kann Österreich viel beitragen.

13. Februar 2020 Blog

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