Warum eigentlich Kosovo?

Zu den Fragen, die mir seit Jahren am öftesten gestellt werden, gehört jene, wie es kommt, dass ich an der Zusammenarbeit mit der Republik Kosovo interessiert bin.

Ich wurde nun zum Berichterstatter der Europäischen Volkspartei (EVP) für den Integrationsprozess des Kosovo bestellt und damit zu einem der „Schattenberichterstatter/innen“ des Europa-Parlaments. Damit darf ich in der der koordinierenden Rolle für die größte Fraktion im Europa-Parlament diesen Prozess mitgestalten.

Das nehme ich zum Anlass, auf diese Frage, die mir oft gestellt wird, hier im Blog einzugehen: Es gibt eine quasi historische Begründung, eine starke inhaltliche, und dazu noch eine persönliche:

Vor ein paar Jahren bei einer Weihnachtsfeier wurde ich von einem langjährigen Freund gefragt, ob ich nicht die österreichisch-kosovarische Freundschaftsgesellschaft gründen möchte. (Als Hintergrund dazu muss man wissen, dass es auf zivilgesellschaftlicher Basis in Österreich im Dachverband namens „Partner aller Nationen“ (PaN) mit fast jedem Land der Welt eine österreichische Freundschaftsgesellschaft gibt, bis 2015 hatte es aber noch keine mit dem Kosovo gegeben.) – Warum hat mein Freund mich das gefragt? Weil er damals selbst in Pristina – der Hauptstadt des Kosovo – gelebt und gearbeitet hat, in der Wissenschaft.

Ich habe mir ein Bild von der Situation gemacht, besonders im Blick auf die Arbeit unseres damaligen Außenministers Sebastian Kurz. So habe ich schnell verstanden, dass der Kosovo im absoluten Zentrum der außenpolitischen Interessen Österreichs und damit im Fokus der österreichischen Aktivitäten steht – und das nicht erst seit Kurzem, sondern schon sehr, sehr lange. Unter Außenminister Alois Mock hatte Österreich den Kosovo schon massiv unterstützt.

Außerdem war mir schnell klar, dass sich in der Zukunft des „Westbalkan“ (wie die sechs Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien genannt werden), die ganz klar zu Europa gehören (das zeigt ein Blick auf die Landkarte, noch mehr aber ein Blick in die Gesellschaften dort), die Zukunft ganz Europas (!) maßgeblich mitentscheidet.

Also habe ich mich daran gemacht, die ersten Schritte zur Gründung der österreichisch-kosovarischen Freundschaftsgesellschaft zu unternehmen. Auf diesen ersten Schritten habe ich wiederum schnell festgestellt, dass es schon viele Freundinnen und Freunde des Kosovo in Österreich gab, wenn auch keine formale Freundschaftsgesellschaft; und dass die meisten von ihnen viel mehr über den Kosovo wussten als ich selbst.

Zur historischen (der spontanen Frage meines Freundes) und der inhaltlichen Komponente (dem Interesse Österreichs und ganz Europas) kommt noch die persönliche:

Ich habe die Bürgerinnen und Bürger des Kosovo – und in weiterer Folge des gesamten Westbalkan! – wirklich zu schätzen gelernt. Sie haben in furchtbaren Verfolgungen und Kriegen viel erduldet und unfassbar große Opfer erbracht. Die allermeisten Menschen wollen Frieden, Verständigung und ein gutes Miteinander. Sie sind auch bereit, sehr viel zu geben und zu leisten für eine bessere Zukunft für sie selbst und für ihre Kinder, für die kommenden Generationen. Und was für uns besonders wichtig ist: Trotz aller Einflussversuche aus anderen Teilen der Welt fühlen sich die allermeisten Menschen am Westbalkan ganz klar – und mit mehr Überzeugung als das manchmal in den heutigen EU-Mitgliedsstaaten der Fall ist – als Europäerinnen und Europäer. Das heißt: In einer Welt, in der die europäischen Werte immer mehr in Frage gestellt werden, steht die große Mehrheit der Menschen am Westbalkan zu diesen Werten und ist bereit, viel für sie zu tun.

Sehr schnell nach dem Start meiner Kosovo-Aktivitäten habe ich festgestellt, dass neben früheren und aktuellen Spitzenvertreterinnen und -vertretern unserer Republik – von Alois Mock über Erhard Busek bis zu Sebastian Kurz – auch der aus Österreich stammende EU-Kommissar Johannes Hahn intensiv mit dem Westbalkan befasst war; und dass es eine Österreicherin war, die in der vergangenen Periode im Europa-Parlament als Berichterstatterin die zentrale Person für den Integrationsprozess war: nämlich Ulrike Lunacek, deren Arbeit als Europa-Abgeordnete sich in diesem Bereich wirklich sehen lassen kann, die eine gute Ratgeberin und auch eine Vizepräsidentin der oben erwähnten Freundschaftsgesellschaft ist. Hier habe ich Lunaceks Buch über ihre Kosovo-Arbeit rezensiert.

Ich durfte unlängst die Botschafterin des Kosovo beim Europarat und den anderen dort ansässigen europäischen Institutionen, Mimoza Ahmetaj, in meinem Büro im Europa-Parlament willkommen heißen (siehe Bild).

Klar ist, dass meine neue Aufgabe im Europa-Parlament nicht einfach wird. Aber dafür lohnt es sich für Österreich und Europa, und auch für die Menschen im Kosovo und am gesamten Westbalkan, die europäische Identität dort zu stärken und die Reformen voranzutreiben, für eine Beitrittsperspektive! Dafür ist viel zu tun – natürlich gehört dazu auch, die Offiziellen dieser Staaten dazu zu bewegen, sich zu bewegen, wie es die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft vielfach schon getan haben, und zwar: sich aufeinander zuzubewegen! Das ist neben den Schritten, die von der EU dringend zu unternehmen sind, entscheidend: dass die Staaten einander unterstützen auf dem Weg in die EU, statt sich gegenseitig zu behindern, wie das in vielen Fällen leider bis heute geschieht. Dafür setze ich mich ein – auf der Seite der Menschen des Westbalkan zu sein, kann manchmal bedeuten, da oder dort anderer Meinung als das politische Establishment zu sein und für ein nachhaltig gutes Miteinander einzutreten. Das ist für eine gute Zukunftsperspektive mein Auftrag.

2. November 2019 Blog

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