Max Weber revisited: 100 Jahre Politik als (Dienstleistungs-)Beruf – Gastkommentar „Die Presse“

Dieser Beitrag erschien am 6. Februar 2019 in der Tageszeitung „Die Presse“ (siehe Faksimile).

„Das Bohren harter Bretter“ gehört zu den gängigen Beschreibungen dessen, was Politik ist. Dass dieses geflügelte Wort dem Standardwerk namens „Politik als Beruf“ von Max Weber entstammt, ist schon weniger bekannt, ebenso wie die Fortsetzung des Satzes mit den Worten „mit Leidenschaft und Ausdauer“. Webers Plädoyer für Politik als Beruf war bei seinem Vortrag Ende Jänner 1919 an der Universität München mehr als nur ein Rufen in der populistischen und nationalistischen Wüste, die von romantischen Ideen des 19. Jahrhunderts geprägt war. In den 100 Jahren seither wurden viele Wege abseits jener „Verantwortungsethik“, die das Werk des berühmten Soziologen namentlich und inhaltlich begründet, beschritten. Die „Verantwortungsethik“ wird vielfach ins Spannungsfeld mit einer „Gesinnungsethik“ gebracht. Wolfgang Schäuble brachte es vor ein paar Tagen in der FAZ aus Anlass des runden Jubiläums so auf den Punkt: „Verantwortungsethiker schauen auf die Folgen ihres Handelns. Sie sind kompromissbereit und scheuen sich, alles auf eine Karte zu setzen. Gesinnungsethiker hingegen agieren, als gäbe es kein Danach.“

Parlamentarismus als grundlegende Innovation

Das waren dabei fast ausschließlich Abwege, deren Ränder mit Tod und Leid gesäumt sind. Für die Überlebenden dieser politischen Trunkenheit folgte eine Katerstimmung, aus der sich Europa bis heute hin zu einem klaren Kopf befreien muss. Teil dieses Weges ist die fortschreitende wirtschaftliche und politische Integration Europas, die längst nicht abgeschlossen ist. Umso ergiebiger ist es heute für Staat und Gesellschaft, „Politik als Beruf“ in seiner positiven und funktionalen Bedeutung zu reflektieren: Ich halte den Parlamentarismus für eine der größten – und verkanntesten – Innovationen der Menschheit, in einer Reihe mit dem Rad, dem Buchdruck oder dem elektrischen Strom. Parlamentarismus bedeutet, dass Abgeordnete in einem gegebenen grundgesetzlichen Rahmen mit demokratischen Mehrheiten auf Zeit staatliche Regeln normieren und die Regierenden kontrollieren.

Den Auftrag kennen und verantwortlich umsetzen

Wird diese Tätigkeit als Dienstleistung begriffen, ist auch klar, dass die Abgeordneten nicht primär für sich selbst sprechen, sondern für die von ihnen Vertretenen zu sprechen und zu handeln haben. Dass man Regierende abwählen kann, kennzeichnet nach Sir Karl Popper Demokratie. Das gilt für die repräsentative Demokratie insgesamt, somit auch für die Abgeordneten. Diese Funktionsweisen machen den Parlamentarismus zu einer Innovation, die Autokratien ebenso wie Anarchien ein System entgegensetzt, das aus verantwortlichen Betroffenen verantwortliche Beteiligte auf Zeit macht. Diese brauchen Einfühlungsvermögen und Überblick voraussetzt, mit Berücksichtigung der möglichen Folgen morgen und übermorgen.

Im Begriff der „Verantwortung“ steckt das Wort „antworten“; also auskunftsfähig zu sein darüber, inwiefern man die vertretenen Menschen und deren Anliegen in den politischen Prozess einbringt. Das folgt logisch aus Webers Imperativ. Die Klarheit darüber, wie der Auftrag von Abgeordneten lautet und wie die Erfüllung dieses Auftrags nachvollzogen werden kann, vertieft dann auch das Verständnis dafür, dass man Abgeordnete wie Rechtsanwältinnen, Friseure oder Ärztinnen als Dienstleistungskräfte verstehen muss. Sie führen professionell eine Dienstleistung an der Gemeinschaft aus, wobei sie für diese oder jene politische Gesinnung, Idee oder Meinung eintreten und die Gesellschaft von morgen und übermorgen entsprechend mitgestalten.

Europa-Abgeordneter Lukas Mandl (39) versteht sich als „christlicher Liberaler“ und jemand, für den man nach Max Weber „Politik als Beruf“ auch „als Berufung verstehen muss, um dem Auftrag gerecht zu werden“, www.lukasmandl.eu

15. Februar 2019 Allgemein

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