Der 5. August ist zu spät für den Tax Freedom Day

Heute ist in Österreich der Tax Freedom Day. Das ist ein symbolisches Datum, das ein Jahr in einen ersten Abschnitt und einen zweiten Abschnitt teilt. Der erste Abschnitt steht anteilig für jenen Teil der Wertschöpfung arbeitender Menschen, der als Steuern an die öffentliche Hand fließt; der zweite Abschnitt steht für den Teil, den arbeitende Menschen zur eigenen Verfügung haben.

Dazu einige grundsätzliche Gedanken, die mir für eine liberale Politik der Chancen und der Handlungsspielräume, der Verlässlichkeit und der menschengerechten Lebensumstände relevant erscheinen:

I) Damit es funktionieren kann, braucht ein Gemeinwesen ein Steuerwesen. Zur Erledigung mancher Aufgaben braucht es eine öffentliche Hand. Diese muss demokratisch legitimiert sein – das heißt auch, dass sie in regelmäßigen Abständen neuerlich demokratisch zu legitimieren ist. Das bedingt naturgemäß auch, dass das Steuerwesen grosso modo als gerecht empfunden wird. Sonst muss es geändert werden.

II) Die oben erwähnten Aufgaben, für die es eine öffentliche Hand braucht, resultieren aus einem gesellschaftlichen Diskurs, der stets zu führen ist. Es gibt auf die Frage, welche Aufgaben von der öffentlichen Hand wahrzunehmen sind, für welche nur ein Ordnungsrahmen zu setzen ist, und welche der Bürgerin und dem Bürger sowie deren Organisationsformen in Wirtschaft und Gesellschaft bleiben sollen, unterschiedliche Antworten. Der politische Prozess führt in jeder einzelnen Frage zu Entscheidungen. Der überwiegende Großteil der sachlichen politischen Auseinandersetzungen bezieht sich letztlich auf die Staatsaufgaben und damit die Staatsausgaben.

III) Außer dem Sektor Staat gibt es keinen Bereich von Wirtschaft oder Gesellschaft, der de facto auf Knopfdruck die eigenen Einnahmen erhöhen kann – zumindest kurzfristig, und mit gewissen Grenzen. Die Grenzen resultieren daraus, dass allzu hohe Steuertarife das System sofort kolabieren lassen würden. Die Kurzfristigkeit resultiert daraus, dass mit auch moderaten Erhöhungen von Steuertarifen erstens der Spielraum für neues Wachstum und damit neue Arbeitsplätze gebremst wird, und zweitens die Steuermoral sinkt. Staatliches Handeln braucht aufgrund der einseitigen Macht über die eigenen Einnahmen nachvollziehbare Entscheiungsprozesse, klare Kontrollmechanismen – „checks and balances“ – sowie die ständige demokratische Erneuerung. Deshalb sind Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und funktionierende demokratische Strukturen so wichtig.

IV) Wir haben diese Strukturen in Österreich. Generationen vor uns haben sie aufgebaut. Sie funktionieren. Dasselbe gilt in großem Ausmaß für die Europäische Union. Wo in der EU die Rechtsstaatlichkeit in Zweifel steht, sind die Institutionen der – allen voran das Europäische Parlament als einzige von Bürgerinnen und Bürgern direkt gewählte Institution – gefordert, mit ganzer Kraft Rechtsstaatlichkeit einzufordern und durchzusetzen. Rechtsstaatlichkeit ist eines der großen Versprechen der EU nach innen und nach außen. Mit der Einhaltung dieses Versprechens steht und fällt die Union.

V) Wir können uns glücklich schätzen, in einem Teil der Welt mit funktionierenden Strukturen für freie Gesellschaften zu leben. Wir sollten uns stärker dessen bewusst werden und die Strukturen nützen, um für Entwicklung und eine gute Zukunft zu sorgen. Denn es stimmt zwar, dass wir in Sachen Wirtschaft und Wohlstand im Vergleich zum Rest der Welt gut dastehen; aber wir stehen (!) weitgehend, während andere Volkswirtschaften links und rechts an uns vorbeibrausen, wenn es um Wachstum und neue Arbeitsplatzchancen geht. In Europa gilt: (a) Weniger Steuern auf Arbeit würden für die Menschen mehr Chancen durch Arbeit bieten. (b) Im gesellschaftlichen Diskurs zu den Aufgaben der öffentlichen Hand wären mehr Vertrauen in die Schaffenskraft fleißiger und gut ausgebildeter Menschen und damit mehr Zurückhaltung, wenn es um staatliche Intervention geht, angesagt. Das würde auch weniger Staatsausgaben bedeuten. (c) Wo es um Staatseinnahmen geht, sind politisch Verantwortliche im 21. Jahrhundert dringend gefordert, kreative und nachhaltig positiv steuernde Modelle in den Bereichen Digitalisierung und Ökologie umzusetzen.

VI) Einerseits schaffen wir in Europa es durch Frieden und funktionierende Strukturen, durch gute Bildungswege, durch harte Arbeit und einen hohen Entwicklungsstand, mit weniger als 7 Prozent der Weltbevölkerung mehr als 20 Prozent der Weltwirtschaftsleistung zu erbringen. Das kann und soll unser Selbstbewusstsein nähren. Das gilt auch für die europäischen Standards im Gesundheitswesen, im Verkehr und vielen anderen Bereichen. Aber die Staaten Europas finanzieren auch fast die Hälfte der Sozialausgaben auf dieser Welt. Das heißt: In humanitärer Hinsicht muss es uns zu denken geben, dass weit mehr als 90 Prozent der Weltbevölkerung mit der anderen Hälfte staatlicher Sozialausgaben auskommen müssen. In struktureller Hinsicht müssen wir darauf achten, dass staatliches Handeln nicht kontraproduktiv wird, weil es statt Anreizen zu Arbeit und Weiterentwicklung eher Anreize zur Inanspruchnahme staatlicher Zahlungen aus Steuergeld schafft. Und auch in wirtschaftlicher Hinsicht gilt: Vom Konsumieren wird Europa seinen Wohlstand nicht halten können. Wenn außerdem mehr und mehr konsumiert wird, was in anderen Teilen der Welt erfunden und produziert wird, fallen wir noch schneller zurück. Europa muss sich seinem Platz in einer globalisierten Kooperationswirtschaft täglich neu erarbeiten.

VII) Die oben beschriebenen Diskurse und Entscheidungen kommen nicht ohne Grundsätze und Werthaltungen aus. Ich verstehe mich als christlicher Liberaler. Wobei das christliche Menschenbild von der unveräußerlichen Würde mit dem Ideal der individuellen Freiheit verbunden ist. Klar muss sich staatliches Handeln auch darauf richten, dass es nicht zur Verelendung kommt; mehr noch: dass jeder Mensch Chancen hat, durch Bildung und Arbeit etwas aufzubauen, auch zweite und dritte Chancen; und: dass menschenwürdige Bedingungen für jede und jeden nicht von Leistung abhängen dürfen. Damit es uns auch in Zukunft gut geht, braucht es das, was Alfred Gusenbauer eine „solidarische Hochleistungsgesellschaft“ genannt hat. Dieser Begriff vereint, was den Menschen maßgeblich zum Menschen macht – Solidarität mit anderen Menschen! – damit, was den Menschen über sich hinauswachsen und zu immer erstaunlicheren Errungenschaften führt – Leistung! Spüren wir diesem Gedanken doch nach, und entdecken wir auf diesem Weg, dass der 5. August viel zu spät ist für den Tax Freedom Day.
Die Reformen der vergangenen Jahre haben schon vieles positiv verändert oder auf den Weg gebracht. Die Steuerbelastung für Familien mit Kindern hat sich etwa durch den Familienbonus maßgeblich reduziert. Das war ein wichtiger Schritt. Beinahe seit ich politisch aktiv bin hatten wir thematisiert, wie absurd es war, dass das Steuersystem für die Existenz von Kindern gleichsam blind war. Der Familienbonus war ein entscheidender Fortschritt, durch den Österreich an die entwickelten Systeme in anderen Staaten Europas aufgeschlossen hat.

5. August 2019 Blog

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