Ein neuer EU-Vertrag und die Kraft des Parlamentarismus

Mit den Journalistinnen und Journalisten aus Niederösterreich habe ich heute auch dem Vertreter Österreichs beim Europarat, Botschafter Gerhard Jandl, einen Besuch abgestattet.

Jandl ist ein erfahrener Diplomat mit sehr viel Expertise speziell im gesamten Gebiet des Europarats. Außerdem kennt Jandl die Strukturen und die Entscheidungsprozesse im Europarat sehr genau.

Es hat mich daher gefreut, Seite an Seite mit Gerhard Jandl über die Strukturen des Europarats, und meinerseits besonders über jene der EU, zu sprechen. Jandl als Angehöriger des österreichischen diplomatischen Corps auch ein Kenner Südosteuropas. Er hat zahlreiche Fachbeiträge und informative Texte zu den sechs Westbalkan-Staaten veröffentlicht.

Ich bin besonders auf folgende Punkte eingegangen:

  • Es ist wichtig, dass in dieser EU-Parlamentsperiode ein neuer EU-Vertrag angegangen wird. Der jüngste Vertrag – jener von Lissabon – ist genau zehn Jahre alt. Man bedenke nur, was sich in zehn Jahren geändert hat – etwa durch die Finanz- und Staatsschuldenkrise; die Migrationskrise; die neue Klarheit zum Klimawandel; die Entwicklung im Bereich der Digitalisierung, der künstlichen Intelligenz, der 5G-Netze; die Erstarkung Chinas auf den Weltmärkten der die Handelskriegs-Szenarien im politischen Westen.

Der neue EU-Vertrag muss besonders die Stärke nach außen und die Freiheit nach innen verbessern. Das heißt, die Entscheidungsstrukturen in außenpolitischen Fragen sind zu klären (zum Beispiel: Schluss mit der Einstimmigkeits-Verpflichtung im Rat, durch die eine krasse Minderheit an Mitgliedsstaaten die EU insgesamt blockieren und in peinliche Situationen bringen kann). Und der neue EU-Vertrag muss dem bewährten europäischen Prinzip der Subsidiarität Rechnung tragen, indem Zentralismus und Bürokratismus zurückgefahren werden.

  • Der Parlamentarismus ist eine der großen Erfindungen der Menschheit. Das klingt zunächst überraschend, aber bei genauem Hinsehen sind nicht nur das Rad, der Buchdruck oder die Dampfmaschine große Erfindungen, mit denen die Menschheit ihre Situation deutlich verbessert hat. Auch der Parlamentarismus zählt zu diesen Innovationen.

    Schließlich bedeutet er, dass nicht mit der Gewalt der Straße oder der Gewalt einer Obrigkeit Regeln bestimmt werden, sondern dass über Regeln durch Abgeordnete entschieden wird, die nicht für sich selbst tätig sind, sondern für jene, die sie vertreten dürfen; die auf Zeit gewählt sind, weshalb Parlamente regelmäßig eine Erneuerung erfahren.

    In diesem Sinne ist es wertvoll, dass Europa erstmals in seiner Geschichte ein gemeinsames Parlament hat. Ich bin dankbar, hier arbeiten zu dürfen. – Und ein Blick in einen Teil Europas, der noch nicht zur EU gehört, die sechs Staaten des Westbalkan, zeigt, wie negativ es ist, wenn es kein funktionierendes Parlament gibt, wie das derzeit etwa in Bosnien-Herzegowina der Fall ist. Das geht Hand in Hand mit einer Nachzügler-Rolle unter den sechs Westbalkan-Staaten. Verlässliche Unterstützung seitens der EU und mehr gegenseitige Unterstützung der betroffenen Staaten – Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Mazedonien, Serbien – ist sehr dringend und wichtig. Denn am Schluss darf kein Staat zurückgelassen werden.

16. Dezember 2019 Blog

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