Europa auf dem Westbalkan stärken

Nach einer intensiven Plenarwoche im Europa-Parlament mit einem Neustrukturierung des Procederes für Neumitgliedschaften in der EU hier ein Überblick zum Status jenes Teils Europas, der sich vor den Toren der EU seit Jahren fit macht:

Die Europäische Union hat Großbritannien und Nordirland verloren. In einer – freilich nicht repräsentativen – Umfrage auf Twitter vor ein paar Tagen haben immerhin 40 Prozent angegeben, zu glauben, dass der ausgetretene Staat in einem Vierteljahrhundert wieder Mitglied sein werde. Als Zweckoptimist und als einer, dem es eher zu wenige als zu viele echte Visionen in der Politik gibt, und einer, der klar definiert wissen will, wofür er arbeitet, schließe ich mich dieser Prognose an.

Die EU sollte nicht auch noch den Westbalkan verlieren. Was paradox klingt, weil diese Staaten ja noch nicht Mitglieder sind, ist bei näherem Hinsehen völlig klar: Wenn wir als heutige EU noch lange zögern und zaudern, aus innerer Uneinigkeit und einem Hang zum Bürokratismus ganze Gesellschaften immer wieder enttäuschen und unser Verhalten als „Hinhaltetaktik“ wahrgenommen wird, dann schaden wir nicht primär den Westbalkan-Staaten, sondern uns selbst, den 27 EU-Mitgliedsstaaten und allen, die mehr oder weniger von uns abhängig sind.

Die Bürgerinnen und Bürger der sechs Westbalkan-Staaten haben wir auf unserer Seite! Sie verstehen sich in viel größerem Ausmaß als Europäerinnen und Europäer als jene der derzeitigen Mitgliedsstaaten. Die Zustimmungsraten zur „europäischen Identität“ sind in Albanien Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien regelmäßig weit über 90 Prozent.

Dieses Selbstverständnis der Menschen des Westbalkan ist der wertvollste Nährboden für die europäischen Werte, den „European Way Of Life“, den man sich wünschen kann. Die Idee der Menschenwürde, die Verteidigung von Freiheitsrechten, die unermüdliche Aufrechterhaltung und Belebung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, ein Zug zu Bildung in allen Dimensionen, damit die Voraussetzungen für Investitionen, Wachstum und Arbeitsplätze: Das und mehr wollen die meisten Menschen des Westbalkan, das wollen wir als EU, das gelingt aber nur, wenn der europäische Integrationsprozess zügig voranschreitet.

Wenn wir das nicht schaffen, dann bleibt nicht alles gleich schlecht, sondern es wird noch schlechter: dann verstärken sich nämlich die Einflüsse aus Teilen der Welt, denen die europäischen Werte kein Anliegen sind, sondern eher sogar der sprichwörtliche „Dorn im Auge“. Inhaltlich sind nur die USA auf unserer Seite, wenn auch aus teils anderen Motiven, ohne die Fragestellung einer Mitgliedschaft und ohne die geografische Nähe, die den Westbalkan zu einer vitalen Frage für unsere Sicherheit macht.

Die Europäische Kommission hat es geschafft, im Eilzugstempo ein neues Beitrittsprocedere zu kreieren. Das war eine Fleißaufgabe, um Macon eine gesichtswahrende Möglichkeit zu geben, von seiner Blockadehaltung gegen den Start der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien abzugehen. Nun soll der längst versprochene Start der Beitrittsverhandlungen noch vor den aufgrund von Marcrons Blockade ausgerufenen Neuwahlen in Nordmazedonien am 12. April erfolgen. Der baldige Start könnte helfen, das gestörte Vertrauen der nordmazedonischen Europäerinnen und Europäer in die EU herzustellen.

Auch längst versprochen ist visafreies Reisen für die Bürgerinnen und Bürger des Kosovo in der EU. Dieser jüngste Staat Europas hat die Auflagen erfüllt. Eine krasse Minderheit der Mitgliedsstaaten blockiert für das kleine Völkchen von rund zwei Millionen Menschen, was alle anderen Westbalkan-Staaten sowie beispielsweise Georgien und die Ukraine schon haben.

Mit Montenegro und Serbien wird verhandelt. Serbien ist die wirtschaftliche Triebkraft der gesamten Region – aufgrund seiner Größe und des Entwicklungsstandes. Damit geht auch eine Verantwortung Serbiens für die gesamte Region einher, endlich Konflikte aufgrund von Ethnien, Nationalitäten oder Religionen gänzlich hinter sich zu lassen. Die Nichtanerkennung des Kosovo durch Serbien oder die Zölle im Kosovo auf serbische Waren sind Beispiele dafür, was man den politischen Eliten der Westbalkan-Staaten empfehlen muss: einander zu helfen, statt ohne Blick zu den Nachbarstaaten den eigenen Weg zu gehen. Schließlich darf auch kein Staat zurückgelassen werden, auch wenn die Beitritte möglicherweise einmal in Wellen erfolgen werden. Es wird noch einiger Anstrengungen – auch der EU und der USA – bedürfen, um Bosnien und Herzegowina auf Reformkurs zu bringen. Außerdem muss in allen sechs Staaten die Korruption mit aller Kraft weiter bekämpft werden.

Wenn Europa sich auf dem Westbalkan nicht selbst stärkt, wird es geschwächt. Die Entwicklung zu ignorieren ist keine Option.

16. Februar 2020 Blog

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