Schützen, verbinden, entwickeln, wirken: Prioritäten der EU-Präsidentschaft Kroatiens

In jeder Plenarwoche veranstalte ich am Donnerstag um 9 Uhr die „Happy Hour Of Free Speech“. Jede und jeder ist willkommen, in diesem Rahmen in Straßburg die eigene Meinung laut auszusprechen, sowie natürlich auch zuzuhören und in eine gute Debatte zu kommen.

Zum Jahresstart habe ich drei kroatische Europa-Abgeordnete eingeladen, über das Arbeitsprogramm der neuen – kroatischen – EU-Ratspräsidentschaft zu sprechen.

Kroatien ist unseren rot-weiß-roten Positionen erfreulicherweise nicht nur geografisch nah, sondern auch inhaltlich.

Mein Kollege Tomislav Sokol hat die vier Handlungsfelder, in denen sich die kroatische Präsidentschaft bewegen wird, beim Namen genannt:

 

I. Ein Europa, das schützt

 

Das ist ein starker und klarer Anknüpfungspunkt an Österreichs EU-Präsidentschaft unter der Führung von Sebastian Kurz, die als „besonders erfolgreich in die Geschichte“ eingegangen ist, wie der damalige Kommissionspräsident sagte.

Tatsächlich bin ich unter anderem deshalb für innere Sicherheit und Verteidigung im Europa-Parlament aktiv, weil gerade in diesem Bereich Bürgerinnen und Bürger Schutz durch die EU erwarten. Dafür haben wir die EU ganz maßgeblich (und nicht für die Regulierung jedes Details des täglichen Lebens vor Ort).

Es ist daher sehr gut, dass Kroatien unsere Anstrengungen für die Verhinderung der Entwurzelung von Menschen, die Beseitigung von Fluchtursachen, die Bekämpfung der illegalen Migration, den Außengrenzschutz und mehr unterstützt. Darüber hinaus ist es in der Tiefe und auf Dauer wichtig, dass Europa die Vernetzung in der Verteidigung verbessert, hier mehr investiert und durch Koordination gleichzeitig eine neue Sparsamkeit erreicht. Der Außenkommissar Josep Borrell hat in seinem „Mission Letter“ aus der Feder von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den klaren Auftrag, sich besonders um die Verteidigungspolitik zu kümmern. Auf diese Priorität habe ich diese Woche in einer Plenarrede in Anwesenheit Borrells hingewiesen. Das wird Europas Stärke nach außen, das Gewicht der EU in der globalen Politik, auch für viele andere Politikbereiche erhöhen – auch im Bereich des Klimawandels.

Das Europa-Parlament hat im Namen der Bürgerinnen und Bürger der anderen EU-Institutionen auch wörtlich darauf hingewiesen, dass sich die Sicherheitslage um Europa „dramatisch verschlechtert“ hat. Das zu begreifen ist grundlegend für weitere Entscheidungen. – Auch deshalb ist es so wichtig, dass sich Kroatien dieses Themas annimmt.

 

II. Ein Europa, das verbindet

 

Wir erleben im Zeitalter der Digitalisierung die allererste technologische Erneuerung auf der Erde, die nicht maßgeblich aus Europa getrieben und entwickelt wird. Neid gegenüber Amerika und Asien, woher die Entwicklung maßgeblich kommt, ist nicht angebracht. Aber wir müssen mit aller Kraft verhindern, dass wir zum „Konsum-Kontinent“ werden. Davon kann man nämlich nicht leben. Zukünftige Generationen sollen ein Europa vorfinden, in dem auch Innovation und Produktion stattfinden, wo Arbeitsplätze und Wohlstand erhalten werden.

Konkret geht es der kroatischen Präsidentschaft in diesem Bereich sowohl um Verkehrsverbindungen als auch um digitale Verbindungen. Wenn man weiß, wie wichtig die 5G-Technologie für unsere Lebensqualität im Zeitalter des „Internet Of Things“ und wie groß auch die Sicherheitsrisiken sind, wenn derartige Instrumente von außen gesteuert werden, versteht die Bedeutung der Prioritätensetzung der Ratspräsidentschaft auf den 5G-Ausbau.

 

III. Ein Europa, das sich entwickelt

 

In das Halbjahr der kroatischen Ratspräsidentschaft wird auch die finale Phase der Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen, zum EU-Budget, fallen.

Wo es um das gute Miteinander von ländlichen Räumen und urbanen Zentren geht, also um die EU-Regionalförderung, die zu den Kernaufgaben der EU gehört, weil sie eine der großen Stärken Europas im Vergleich zu allen anderen Teilen der Welt ermöglicht, ist die inhaltliche Ausrichtung der kroatischen Präsidentschaft ganz auf unserer Seite. Wir müssen die Regionalförderung gegen zentralistische Tendenzen verteidigen! Dasselbe gilt für das Landwirtschaftsbudget.

Wo es um den EU-Mitgliedsbeitrag geht, sind wir als Nettozahler-Mitgliedsstaat Österreich besonders an Sparsamkeit, Fokussierung der EU auf ihre eigentlichen Aufgaben sowie an Einnahmequellen jenseits der Steuermittel aus den Mitgliedsstaaten – etwa durch die Besteuerung von in Europa aktiven Digitalunternehmen – interessiert.

 

IV. Ein Europa mit starkem Einfluss

 

Schließlich hat sich die kroatische Ratspräsidentschaft hellsichtig die Stärke Europas nach außen zu einem ihrer wichtigsten Handlungsfelder erklärt.

Wir Europäerinnen und Europäer dürfen nicht Getriebene globaler Entwicklungen sein, sondern wir müssen mitgestalten. Das ist in unserem Interesse und auch um Sinn der europäischen Werte.

Ein Beispiel dafür – vielleicht das wichtigste Beispiel – ist der Integrationsprozess der Staaten des Westbalkan. Meine Kollegin Zeljana Zovko ist heute besonders auf dieses wichtige Handlungsfeld eingegangen. Die Begleitung der sechs Staaten Südosteuropas – Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nord-Mazedonien und Serbien – ist ja auch eine Kernaufgabe in meinem Arbeitsbereich. Mein Kollege Karlo Ressler lenkte heute die Aufmerksamkeit darauf, dass die Entwicklung Kroatiens seit dem EU-Beitritt ein gutes Beispiel für die guten Auswirkungen der Mitgliedschaft auf Staat und Gesellschaft ist.

Betont wurde in der heutigen „Happy Hour Of Free Speech“ einerseits die peinliche und auch bedrückende Verzögerung der EU, gegenüber den Staaten des Westbalkan ihre eigenen Versprechungen einzuhalten. Das betrifft etwa die Visaliberalisierung für die Bürgerinnen und Bürger der Republik Kosovo oder den Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nord-Mazedonien. Der Grund für das traurige Bild, das wir als EU hier abgeben, ist jeweils die Blockade einer kleinen Minderheit im Europäischen Rat, wo aufgrund eines unzeitgemäßen Systems in außenpolitischen Fragen eine einzige Stimme ausreicht, um Europa zu blockieren. Dieses „Einstimmigkeitsprinzip“ zu überwinden war auch eines meiner Anliegen in einer Plenarrede diese Woche und entspricht den Zielen der neuen österreichischen Bundesregierung.

Andererseits kam heute selbstverständlich auch zur Sprache, dass die Reformen in den sechs erwähnten Staaten fortgesetzt werden müssen.

Željana Zovko warnte auch deutlich davor, dass bei weiteren Verzögerungen seitens der EU am Westbalkan Andere das Ruder übernehmen – etwa die Türkei und Russland sind schon präsent, wie auch Zovko betont hat.

Die kroatische Präsidentschaft plant für Mai eine große Konferenz in Zagreb, bei der die EU-interne Blockade aufgebrochen werden soll.

Ein kurz erwähntes Thema war heute auch der Brexit. Mein Kollege Tomislav Sokol hält es für sehr unwahrscheinlich, dass schon Ende 2020 ein Abkommen zwischen Großbritannien und der EU fertig sein wird. Ich teile diese Skepsis, gerade deshalb müssen wir zügig vorwärts arbeiten. Denn es ist gegen die Interessen aller Europäerinnen und Europäer – ob sie nun aus Großbritannien sind oder nicht – dass wir eine gute Kooperation schaffen.

Ich habe mich in dieser „Happy Hour Of Free Speech“ auf das Thema der Demografie konzentriert. Denn wir erleben in weiten Teilen Europas gravierende Abwanderungsbewegungen. Željana Zovko betonte, dass sie und auch die kroatische Präsidentschaft sich dieser Herausforderung bewusst seien; und Tomislav Sokol nannte einen besonders wichtigen Aspekt: Um besonders die Abwanderung junger Familien zu verhindern, müssen besonders Frauen unterstützt werden, Gleichberechtigung und Chancen auf den Arbeits- und Bildungsmärkten vorfinden.

 

16. Jänner 2020 Blog

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