Wenn man New York City kennt und mag, lassen einen die Bilder aus dieser Stadt nicht unberührt. Menschen aus allen Himmelsrichtungen und Kulturen leben hier auf engstem Raum zusammen. In der Pandemie sind die Rahmenbedingungen für die Verbreitung des Covid19-Virus kaum irgendwo so gefährlich wie hier.
Und: New York City ist auch ein großer „Hub“. Nach allem, was wir bisher über die Verbreitung des Virus wissen, ist die Annahme falsch, irgendein Ort wäre mit hundertprozentiger Sicherheit ungefährdet. Es ist so auf dem Planeten Erde: Was an einem beliebigen Ort geschieht, hat potenziell Auswirkungen auf jeden anderen Ort. Die Pandemie zeigt uns das überdeutlich.
Das soll heißen: New York City dürfte seit einigen Tagen der globale „Hotspot“ im Tempo der Ausbreitung des Virus sein. Diese Entwicklung wird über die Grenzen von New York ausstrahlen. Was hier droht, zeigt dieser ganz aktuelle Artikel auf. Wie die EU-Mitgliedsstaaten sind auch die US-Bundesstaaten in ihrem Krisenmanagement mit unterschiedlichem Tempo und unterschiedlicher Intensität unterwegs, wie mir ein kürzlich von der US-Ost- an die US-Westküste übersiedelter Freund, der Mediziner ist, erzählt hat. Es gilt dasselbe wie in Europa und weltweit: je später und je weniger konsequent die Maßnahmen gesetzt werden, desto härter werden Gesellschaften und Bevölkerungsgruppen durch die Pandemie in Mitleidenschaft gezogen; unumwunden: desto mehr Tote wird es geben.
Die EU ist besser unterwegs
Nach diesem Kurier-Artikel wurde ich mehrmals nach dem Grund für meine Einschätzung, dass die EU besser durch die Pandemie-Krise kommen würde als die USA, gefragt. Dazu ist Folgendes zu sagen:
- Geprägt ist diese Einschätzung von den Lehren aus dem Beispiel Südkoreas und dem vermutlichen Grad der Unterscheidung von diesem vermutlich weltweit besten Beispiel.
- Sehr frühe Aussagen des US-Präsidenten, die das Problem falsch einordneten; die späte und nach wie vor halbherzige Reaktion der Trump-Administration; gepaart mit einer zumindest in der Verbalisierung falschen Erwartungshaltung hinsichtlich der baldigen Möglichkeit eines Durchstartens der Wirtschaft – all das untermauert diese Einschätzung. Beispielsweise dieser Artikel versucht, nachzuweisen, dass zu spät und zu wenig konsequent reagiert wurde.Wer verfolgt, wie der Governor des Staates New York professionell und strukturiert vorwärts arbeitet, gewinnt allerdings Vertrauen in die Krisenfestigkeit des US-Systems. Auch der Hinweis auf die starken bundesstaatlichen Kompetenzen nähren das Vertrauen.Dieses Vertrauen kann aber schwinden, wenn man bedenkt, dass die US-Führung trotz des dichten nachrichtendienstlichen Netzes den Ausbruch und die Intensität der Pandemie nicht ausreichend prognostiziert und eingeordnet hat, wie dieser Artikel aufzeigt (auch wenn das alles möglich wäre, ohne alles persönlich auf den Präsidenten selbst zu beziehen, was wohl etwas zu kurz gegriffen ist).
Klar ist: Ich wünsche mir, dass alle Teile der Welt möglichst glimpflich durch die Pandemie kommen, selbstverständlich auch die USA, mit denen ich mich sehr verbunden fühle. Frei nach Karl Kraus („was zwischen Deutschen und Österreichern steht, ist die gemeinsame Sprache“) denke ich im Hinblick auf manchen Zwist und manches Kopfschütteln, das es im Alltag geben mag, was zwischen uns Europäern und US-Amerikanern steht, ist die gemeinsame – oder jedenfalls: sehr ähnliche! – Mentalität.
Außerdem darf man auch als Europäer erwähnen: Die Geopolitik braucht die USA. Bei allen Differenzen etwa in Handelsfragen – die zwischen den USA und Europa ohnehin kleiner sind als zwischen den USA und anderen Teilen der Welt – sind die USA eine nicht wegzudenkende Größe für die Verteidigung rechtsstaatlicher Demokratie (deren Werte der Menschenwürde und der Freiheitsrechte in allen Teilen der Welt ihre zeitlose Bedeutung haben) und ein Faktor der Stabilität an vielen Krisenherden.
Tempo und Konsequenz sind entscheidend
Es ist offensichtlich, dass der Umgang mit der Pandemie je nach Weltregion und Staat sehr unterschiedlich ist.
- Dieser Artikel berichtet über eine wissenschaftliche Prognose für den Fall, dass in den USA keine Maßnahmen gesetzt würden, von 2,2 Millionen Toten. Nun wurden und werden Maßnahmen gesetzt. Man darf also davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl an Todesopfern weit unter dieser Horrorzahl liegen wird. Aber da wir wissen, dass die Maßnahmen mit Konsequenz, mit Geduld und mit ganz viel Eigenverantwortung der einzelnen Bürgerinnen und Bürger einhergehen müssen, kann auch für die USA noch nicht gesagt werden, wie hoch der Wirkungsgrad dieser Maßnahmen sein wird.Ich erlebe bei jedem meiner Besuche die USA als Land freiheitsliebender Menschen, die hoch aktiv sind, sehr mobil, die täglich neue Chancen ausloten, erkennen und umsetzen. Wir Europäerinnen und Europäer haben vielleicht eine ähnliche Mentalität. Aber die dauerhafte Umsetzung der Maßnahmen stelle ich mir für die USA noch schwieriger vor als für Europa.
- Es hat immer einen fahlen Beigeschmack, wenn sich politische Vertreterinnen und Vertreter aus dem einen Teil der Welt in innenpolitische Fragen struktureller Natur in anderen Teilen der Welt einmischen. Man wird von mir daher vergeblich nach Kritik etwa am US-amerikanischen Gesundheitssystem suchen. Ich bin dafür, dass gewählte Vertreterinnen und Vertreter der US-Amerikaner sich darum kümmern; und ich sehe eine Einmischung in strukturelle europäische Fragen von außen umgekehrt eher skeptisch.Nur darf man in der gegebene Krise schon erwähnen, dass das stark individualisierte US-Gesundheitssystem auf eine Pandemie, zu deren Wesen es gehört, dass ganze Kollektive betroffen sind und zum Wohl auch des Einzelnen Menschen Maßnahmen ergriffen werden müssen, die diese Kollektive adressieren, höchstwahrscheinlich nicht bestmöglich für die Reaktion auf eine Pandemie gerüstet ist. Das räumt laut diesem Artikel auch der Chefberater der US-Administration ein.
Berichte wie diese darüber, wie unterschiedlich die Überlebenschancen von Menschen abhängig von ihrem sozialen Status sind, können übertrieben sein, aber auch wenn sie zum Teil ihre Richtigkeit haben, ist das bedrückend.
An erster Stelle stehen die Menschenleben. Dann kommt lange nichts.
Laut Notenbank 30 Prozent (!) Arbeitslosigkeit möglich
Neben unser aller Gesundheit ist von nachhaltiger Bedeutung auch das wirtschaftliche Durchstarten der Volkswirtschaften. Hier geht es nicht nur um das „Wann“, sondern auch um das „Wie“. Durch die Stützungen aus den mitgliedsstaatlichen Haushalten und aus dem EU-Haushalt für Arbeitsplätze und Wirtschaft in Europa sowie durch die Aussetzung der Stabilitätskriterien für die mitgliedsstaatlichen Gebarungen und die Stabilisierung des Euro als Währung darf heute angenommen werden, dass Europa vergleichsweise gut durchstarten wird. Aber freilich hat die Krise gerade erst begonnen, wir werden besonders Lösungen für das Problem steigender Arbeitslosigkeit brauchen.
- Die Prognosen hinsichtlich der Arbeitslosigkeit in den USA sind schockierend. Der Finanzminister sprach davon, dass die Pandemie 20 Millionen mehr Arbeitslose verursachen könnte. Noch dramatischer ist die Prognose der US-Notenbank: 30 Prozent (!) Arbeitslosigkeit im zweiten Quartal! Ein solches Szenario würde die gesamte Weltwirtschaft erschüttern. Es ist schon jetzt niemand völlig unberührt von der Pandemie-Krise. Ein nachhaltiger Einbruch der US-Wirtschaft würde uns alle aber noch viel mehr betreffen.
In Österreich war ab dem Beginn des Krisenmodus völlig klar, dass das Land politisch zusammenrücken muss und dass alltägliche politische Konflikte – die ja eine Demokratie ausmachen! – in den Hintergrund treten müssen, wenn man bestmöglich mit der Pandemie umgehen will. Auch in der Europäischen Union war es keine Streitfrage, dass die Stabilitätskriterien ausgesetzt werden, damit die Mitgliedsstaaten ihre Volkswirtschaften stützen können. In den USA war sogar die Stützung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen aufgrund der politischen Polarisierung im ersten Anlauf gescheitert. (Das lag wohl unter anderem auch daran, dass nach der positiven Testung des Senators Rand Paul fünf weitere Senatoren, die mit ihm in engem Kontakt gewesen waren, in Quarantäne gegangen waren.)
Man kann es selbstverständlich auch so sehen, dass manches dafür spricht, dass die USA durch die enorme Konsequenz, die dort üblicherweise an den Tag gelegt wird, wenn einmal eine Marschrichtung eingeschlagen ist, doch besser durch die Pandemie-Krise kommen. Zum Beispiel das:
- Die österreichischen Entwickler eines Covid-Tests namens Artichoke haben mir berichtet, dass die zuständigen US-Behörden extrem schnell positiv auf ihre Erfindung reagiert haben; innerhalb von Stunden sogar. Wenn dieses Beispiel symptomatisch für die Reaktionsgeschwindikeit der US-Systeme ist, dann kann man erwarten, dass auf einen schwachen Start in der Reaktion auf die Pandemie in den USA eine starke und offensive Phase der Eindämmung der Krankheit folgt.
- Die schnellste und übersichtlichste Seite weltweit, die Zahlen, Daten und Fakten zu Fallzahlen vermittelt, ist ein privates, innovatives Projekt eines 17jährigen US-Amerikaners namens Avis Schiffmann aus Seattle. Hier findet sich ein Interview mit ihm. Das kann „pars pro toto“ für die Spitzenleistungen, mit denen man in den USA immer ganz besonders rechnen darf, stehen. Vielleicht kommt es in den USA auch zu plötzlichen Innovationen im Bereich der Covid19-Behandlung und/oder der -Prävention; wichtig ist dann, dass diese Innovationen unmittelbar der gesamten Welt zugute kommen.
- Die Trump-Administration hatte bereits vor mehreren Tagen die Nutzung einer für Kriegszeiten vorgesehenen Regelung in den Raum gestellt, durch die Produktionsunternehmen staatlicherseits verpflichtet werden können, zur Krisenbewältigung notwendige Güter zu produzieren. Ein Tweet wie dieser mutet zwar grotesk an, aber mit einigen Tagen Verzögerung scheint diese Regelung nun tatsächlich genützt zu werden, um die Produktion von Beatmungsgeräten zu intensivieren.
Ja zu Verantwortung, Nein zu Verschwörungstheorien
Was keinesfalls hilfreich ist, sondern eher ablenkt und die Lage ganz sicher auch verschlimmert, sind Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien über die Entstehung der Pandemie. Darauf bin ich schon Anfang der Woche eingegangen. Zweifellos wird auch das zu prüfen sein – „sine ira et studio“ und mit wissenschaftlicher Redlichkeit. Zur Austragung politischer Rivalitäten oder zur Mobilisierung besorgter Menschen sollte diese Frage nicht missbraucht werden.
Sehr wohl notwendig ist, für die Gegenwart und die weitere Entwicklung auszuschließen, dass einzelne Interessengruppen auf dieser Welt die Pandemie für einseitige Vorteile und zum Nachteil Anderer missbrauchen. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir in der Europäischen Union Unternehmen, die kurzfristig aufgrund der Pandemie geschwächt sind, vor überfallsartigen Übernahmen schützen. Auch den klaren Ausführungen der deutschen Verteidigungsministerin gegen hybride Methoden, unsere Gesellschaften zu schwächen, sind hier zu unterstreichen.
Die Menschheit steht unter Stress. Tun wir alles dafür, dass nun das Beste im Menschen zum Tragen kommt: Kooperation und Kreativität; nicht Konflikte aller Art.
Es scheint mir wichtig zu sein, in Zeiten wie diesen möglichst genau festzuhalten, wie sich die Dinge entwickeln, und was uns mit welcher Wahrscheinlichkeit erwartet. Das gilt auch unter den gegebenen Umständen, dass sich die Lage schon morgen ganz anders darstellen könnte – vielleicht gerade wegen dieser Umstände. Denn es wird eines Tages wichtig sein, die verschiedenen Phasen der Krise nachzeichnen und reflektieren zu können.
Klar ist, dass wir in Europa gefordert sind. Ich versuche, auf der europäischen Ebene meine Aufgaben zur Bewältigung der Pandemie-Krise zu erfüllen und daheim in unserem Land als österreichischer Abgeordneter meinen Beitrag zu leisten. Wir sollen auch um andere Teile der Welt sorgen. Wir müssen helfen! Aber all das hat nur dann Substanz, wenn wir es auf der Basis der Eigenverantwortung tun, also uns selbst und Andere durch unser tägliches Verhalten schützen.