Verschlüsselung und Kampf gegen Kinderpornografie

Mein Team und mich erreichen viele Anfragen zum Vorschlag der Europäischen Kommission zum Kampf gegen Kinderpornografie und Kindesmissbrauch im Internet. Hier einige Gedanken dazu:

Wir leben in einer Zeit, in der wir uns den Dingen in ihrer wahren Komplexität widmen müssen. „Schwarz-Weiß“ Denken bringt uns nicht weiter. Im Gegenteil: „Schwarz-Weiß“ Denken ist das, was jene geopolitischen Kräfte, die Europa schwächen wollen, versuchen, in unsere Gesellschaften zu tragen. Das dürfen wir nicht zulassen. Sehen wir die Buntheit von Gesellschaft und Welt, wie sie ist, und versuchen wir mit gutem Willen das Beste:

Zunächst zum Procedere: Eine Rechtssetzung in der EU funktioniert so, dass die Europäische Kommission zuerst einen Entwurf erarbeitet, und dann dieser Entwurf im Europäischen Parlament sowie im Rat der mitgliedsstaatlichen Regierungen („Europäischer Rat“) reflektiert, verhandelt, verändert wird. Nach der Vorlage der Verhandlungsergebnisse aus dem Europäischen Parlament einerseits und dem Europäischen Rat andererseits erfolgt schließlich eine finale Verhandlung um ein Schlussergebnis zwischen durch die drei Institutionen, diese nennt man auch „Trilog“ (die drei Institutionen sind: die Kommission als „Hüterin der Verträge“, also quasi der Architektur des freien, demokratischen, rechtsstaatlichen Europa, der im Trilog eher eine Moderationsrolle zukommt; das Europäische Parlament als Vertretung der Europäerinnen und Europäer, wo der staatlichen und quasistaatlichen Perspektive jene der Bürgerinnen und Bürger gegenübergestellt werden, und wo Kontrolle geschieht; und der Europäische Rat).

Im Fall der Verhandlungsmaterie, deren Titel den Anspruch formuliert, to „lay down rules to prevent and combat child sexual abuse“, stehen wir am Anfang des Prozesses. Ein Vorschlag der Europäischen Kommission liegt seit Kurzem vor. Die Beratung im Europäischen Parlament steht bevor, aber nicht einmal unmittelbar, sondern mittelfristig. (Mit diesem Hinweis auf den Zeitfaktor lade ich dazu ein, den öffentlichen Diskurs mit Bedacht und ohne Stress zu führen; Stress kann zu falschen Einschätzungen beitragen.) Ich werde mich als Mitglied des Innen- und Justizausschusses an den einschlägigen parlamentarischen Debatten beteiligen (und selbstverständlich auch am öffentlichen Diskurs).

Ich will keine „Orwell’sche Welt“. Mit diesem Anspruch wurde ich in den vergangenen Monaten mehrfach medial zitiert. Und ich meine das wortwörtlich, ganz in Anlehnung an ein Benjamin Franklin zugeschriebenes Zitat, nach dem Grundsatz, dass wer meine, Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgeben zu können, letztlich beides zu verlieren drohe.

Die dramatische Wirklichkeit der Kinderpornografie und des Kindermissbrauchs im Internet sind zu schwerwiegende und ernste Themen, um jeden Ansatz zur Prävention, zur Verfolgung und Sanktionierung einschlägiger Handlungen und Taten von vornherein auszuschließen oder gar zu verurteilen.

Wie immer im Leben und auch in der Politik wird es darum gehen, im Interesse der Freiheit und der Würde der Kinder sowie auch im Sinne der Freiheitsrechte, zu denen auch das Briefgeheimnis und die Privatsphäre gehören, einen seriösen Weg zu finden. Wird dieser Weg am Schluss von allen zu einhundert Prozent gutgeheißen werden können? Vermutlich nicht. Macht es ein demokratisches System aus, dass demokratisch legitimierte Entscheidungsprozesse anerkannt werden? Ganz sicher schon. Der moderne Staat lebe von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen könne, betonte der Rechtsphilosoph Ernst Wolfram Böckenförde („Böckenförde-Diktum“). Zu diesen Voraussetzungen gehört, dass wir uns (auch) diesem Thema in den kommenden Jahren mit Herz und Hirn, mit Expertise und Verantwortungsbewusstsein widmen, und vor allem mit Offenheit, um gut hinzuhören, wenn andere Meinungen geäußert werden. Dazu lade ich herzlich ein.

31. Mai 2022 Blog EU, EU-Außenpolitik, Europa, Europäische Union, Europäisches Parlament, Europaparlament, Geopolitik, Haltung und Grundsätze, Innere Sicherheit, Österreich, Sicherheit

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