Straßburger Diskurstage zu „dunklen und hellen Seiten der Christdemokratie“

Der Begriff des Gemeinwohls werde derzeit in der politischen Debatte nur wenig verwendet. Er sei einer der zentralen Begriffe der Christdemokratie und verdiene in Zeiten, in denen der soziale Zusammenhalt in Frage stehe wie lange nicht mehr, besondere Beachtung, sagte Lukas Mandl zum Auftakt der Straßburger Diskurstage 2022.

Der Ausgangspunkt der Gespräche im Zuge der Straßburger Diskurstage 2022 war „Die dunkle Seite der Christdemokratie“. So lautet der Titel des neu erschienenen Buchs aus der Feder des jungen österreichischen Wissenschafters Fabio Wolkenstein. Der österreichische Europaabgeordnete Lukas Mandl hatte Wolkenstein nach der Lektüre des Buches und einer auf Mandls Homepage öffentlich zugänglichen Antwort auf das Buch zu Vortrag und Diskussion in Straßburg eingeladen. „Anders als der Titel vermuten lässt ist das Buch nicht aggressiv, sondern informativ. Es regt zum Anknüpfen an jene christdemokratischen Aktivitäten an, die dem Gemeinwohl im Kleinen und im Großen bis heute dienen“, so Mandl.

Die diesjährigen Straßburger Diskurstage waren in drei Teile gegliedert: zentral war eine Diskussion in den Studios des Europaparlaments unter der Leitung von Caroline Parsché (Büro Mandl), an der neben Wolkenstein und Mandl der Generalsekretär der katholischen Aktion der Erzdiözese Salzburg, Simon Ebner, und der Chefredakteur des Portals „Zur Sache“, Claus Reitan, teilgenommen haben. Die Aufzeichnung findet sich hier:

Darüber hinaus gab es eine Publikumsdiskussion im Rahmen der paneuropäischen „Happy Hour Of Free Speech“, zur der Mandl jeweils am Montag Abend in Plenarwochen einlädt, sowie ein Arbeitsessen mit dem Generalsekretär der Versammlung der katholischen Bischofskonferenzen in der EU (COMECE), Manuel Barrios.

Wolkenstein ging etwa darauf ein, dass das Projekt der europäischen Einigung klar ein christdemokratisches Projekt sei. Mandl betonte, dass das Menschenbild aus der jüdischen und der christlichen Tradition verbunden mit der Aufklärung maßgeblich zum modernen Verständnis von Menschenwürde und Freiheitsrechten beigetragen habe; er betonte auch, dass auch andere politische Haltungen zur Verteidigung dieser Werte beitragen könnten, nicht nur jene der Christdemokratie, und dass es andererseits auch Christinnen und Christen in anderen Parteienfamilien gebe. Der Buchautor vermittelte, dass Menschen christlichen Glaubens viele Jahrzehnte lang um richtige Antworten auf die Frage nach staatlichen Strukturen gerungen hätten, bis demokratische Strukturen relativ unumstritten geworden seien. Zur „Geschichte einer autoritären Versuchung“ – so lautet der Untertitel des Buches – führte Mandl aus, dass Kräfte, die formal der christdemokratischen Parteienfamilie angehören, in Machtpositionen auch inhaltlich erodieren könnten. Die Europäische Volkspartei habe hier immer wieder Klärungen vorgenommen.

Simon Ebner zitierte den Gründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola, der dazu aufgefordert habe, anderen Menschen so zu begegnen, dass man „eher versucht, die Aussage des Anderen zu retten, als sie zu verurteilen“. Das führte Claus Reitan zum bekannten Voltaire-Zitat: „Ich mag verdammen, was Du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Du es sagen darfst.“ – Hier zeige sich auch die oft unterschätzte Verwandtschaft eines Menschenbildes, dass die Würde der einzelnen Person anerkennt, und der Aufklärung, fand Mandl. Die Verteidigung der Meinungsäußerungsfreiheit sei besonders in den heutigen Zeiten wichtig.

Ebner erklärte aus der Perspektive eines engagierten katholischen Laien auch, dass mit dem so genannten „C“ in der Politik selbstredend große Erwartungen mitschwingen würden, die in der Praxis zwar oft enttäuscht würden. Dennoch – oder gerade deshalb – seine Grundsätze und Werthaltungen wichtig, wie Wolkenstein betonte. – Insgesamt hätten das Buch und die Substanz, die in den Gesprächen aufgebaut werden konnte, auch dazu beigetragen, in der Unterscheidung von den titelgebenden „dunklen“ Seiten auch die hellen Seiten der Christdemokratie zu diskutieren „und mit dieser Helligkeit Wege in die Zukunft auszuleuchten“, so Mandl.

Die Straßburger Diskurstage fanden 2022 zum vierten Mal statt. Sie waren von Mandl zu Beginn der Legislaturperiode ins Leben gerufen worden. Alljährlich im Herbst diskutieren vorwiegend interessierte Österreicherinnen und Österreicher den Auftrag der Christdemokratie im 21. Jahrhundert. Key Note Speakers waren die nunmehrige Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, Manfred Weber als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), Francois-Xavier Bellamy, Vorsitzender der französischen EVP-Delegation. Gastreferate hielten die Theologin Judith Klaiber sowie Thomas Köhler, Romanautor, Essayist, Mentor einer sozialliberalen Christdemokratie und Christian Mertens, Historiker. An Europaabgeordneten beteiligten sich an den diesjährigen Debatten neben Mandl auch Jan Olbrycht aus Polen und Karlo Ressler aus Kroatien.

Im Frühjahr 2023 sollen bei einem in Österreich stattfindenden Diskursforum die Inhalte aus den Straßburger Diskurstagen reflektiert und weiterentwickelt werden.

24. November 2022 Blog, Presseartikel EU, EU-Außenpolitik, Europa, Europäische Union, Europäisches Parlament, Europaparlament, Geopolitik, Haltung und Grundsätze, Innere Sicherheit, Österreich

Teilen:
Zurück nach oben