Sicherheit, Westbalkan, Innovation, Krieg – Gespräche in Frankreich

Gestern habe ich meine parlamentarische Mission nach Frankreich abgeschlossen. Die Kolleginnen und Kollegen in Nationalversammlung und Senat, die für Europa zuständige Ministerin, der oberste General der französischen Streitkräfte sowie zahlreiche Fachleute waren meine Gesprächspartnerinnen und -partner. Ich durfte Militäreinrichtungen und Kooperationsprojekte mit anderen europäischen Staaten – unter ihnen Österreich – besuchen.

  • In manchem wurde meine Arbeit bestätigt und bereichert.
  • Manches hat mich überrascht, und zwar positiv.
  • In einigen Punkten wurde mir klar, dass alle Menschen guten Willens noch viel Einsicht und Umsetzungskraft brauchen, um die gegenwärtigen Krisen zu bewältigen, und zwar weltweit.

Zu verwandten Themen durfte ich heute Früh im Deutschlandfunk-Interview Stellung nehmen.

Bestärkung habe ich gefunden in der parlamentarischen Zusammenarbeit in erster Linie mit Frankreich, wenn es um die Stärke Europas nach außen, um unser aller Sicherheit und die Entwicklung der Verteidigungsfähigkeit Europas geht. Seit dem Verlust des Vereinigten Königreichs ist klar Frankreich die Antriebskraft für die Sicherheit der Europäerinnen und Europäer, mit viel parlamentarischer Unterstützung auf EU-Ebene. Bereichert haben mich die Wahrnehmung der Breite und der konsequenten Umsetzung dieses politischen Bekenntnisses; sowie der Methoden und ethischen Grundsätze, die in der militärischen Aktivität Frankreichs zum Tragen kommen.

Sicherheit

Konkret ist es so, dass Sicherheit als Querschnittsmaterie begriffen und ihre Zusammenhänge mit Wirtschaft und Arbeitsmarkt ständig im Blick behalten werden. In diesem Sinne finden wir in Paris eine starke Partnerschaft für die gemeinsame Entwicklung in Sachen Forschung und Innovation, gemeinsame Beschaffung, damit sparsamen Umgang mit Steuergeld und eine Chance auf Wohlstand auf dem europäischen Kontinent auch für die kommendem Generationen. Denn im digitalen Zeitalter war und ist Europa bisher immer mehr zu einem Kontinent des Konsums degradiert, nicht zuletzt aufgrund nachhaltiger Sicherheitsinvestitionen in anderen Teilen der Welt. In diesem Sinne werde ich weiterhin für eine Anpassung des heimischen Verteidigungsbudgets sowie eine dynamischere Nutzung des Europäischen Verteidigungsfonds weiterarbeiten. Letzterer kann viel zu Wohlstand und Sicherheit beitragen, wenn er besser gesehen und genützt wird. Außerdem gehört er im nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen gestärkt. Unmittelbar bedeutet das herausfordernde Verhandlungen zur positiven Verankerung des Verteidigungsfonds in der sogennanten EU-Taxonomie.

Westbalkan

Positiv überrascht haben mich angesichts der durchwachsenen Rolle Frankreichs in den vergangenen Jahren zu einem Themenfeld, das uns Österreicherinnen und Österreichern besonders am Herzen liegt, das aber für ganz Europa ein entscheidendes Zukunftsthema ist, die durchwegs positiven Signale meiner Gegenüber: Es geht um die Entwicklung der sechs Staaten des Westbalkan!So wurde nun – am Beginn sowohl einer neuen Parlamentsperiode als auch einer zweiten Amtszeit des französischen Präsidenten – meine Zuversicht gestärkt, dass wir bald substanzielle Schritte voranbringen können. Nicht nur die Menschen des Westbalkan verdienen schon lange die Integrationsschritte, auch die heutigen Mitgliedsstaaten verlieren täglich Möglichkeiten und setzen sich neuen Risiken aus, solange der Integrationsprozess nicht voranschreitet. Und die EU steht weniger stabil in der internationalen Gemeinschaft da als es ihr möglich wäre. Ich freue mich auf neue Allianzen. Auch die Vision des Westbalkan gleichsam als Silicon Valley Europas konnte ich teilen: Gemessen am Lebensalter lebt am Westbalkan die jüngste Bevölkerung Europas. Die allermeisten Menschen sind bildungshungrig und arbeitswillig. Es gibt kaum tradierte Industrie. Das digitale Zeitalter wäre nicht nur eine Chance für den Wirtschaftsaufschwung der Region, sondern für ganz Europa die Chance, die wie oben erwähnt so notwendigen Sprünge vorwärts zu machen.

Innovation

Das französische Verteidigungsressort unterhält eine Organisation namens Defence Innovation Hub. Diese allein investiert ein Jahresbudget von einer Milliarde Euro. Dieses Bekenntnis zu Innovation – im Bewusstsein der vielfachen positiven Wirkung – und noch mehr die umfassende Orientierung dieser Organisation nötigen mir großen Respekt ab. An öffentlich zugänglichen Informationen kann ich die Bücher und die Online-Präsenzen des so genannten „Red Team“ empfehlen. Dort war schon lange vor dem Krieg und des Missbrauchs von Energie als Waffe auch die Energiefrage ein zentrales Thema der Analysen. Was mich nicht zuletzt durch die parlamentarische Arbeit im Sonderausschuss gegen Foreign Interference und Desinformation (Aktionen, die unseren freien, zivilen Gesellschaften Schaden zufügen) besonders beschäftigt, ist die Abwehr von Verschwörungstheorien, Fake News, Hate Speech und dergleichen als Waffe gegen uns, mit dem Ziel der vielfachen Spaltung unserer Zivilisation. Was Mut macht ist die geradezu inspirierende Arbeit, die der Defence Innovation Hub hier leistet. Was mich nachdenklich stimmt und auch zum Handeln motiviert ist, wie schwerwiegend die Folgen derartiger „hybrider Angriffe“, wie die Fachwelt sie nennt, sein können und auch schon sind: Die Pandemie zeigt das ebenso wie die Verfestigung von Lügennarrativen zum aus den Kreml kommandierten Krieg in einigen Milieus auch mitten in Europa. Das kann uns die entscheidende Kraft kosten. Das darf uns nicht passieren – im Sinne unserer Kinder, der Freiheit, des Friedens.  

Krieg

Selbstverständlich war der laufende Krieg gegen unser Lebensmodell in allen Gesprächen omnipräsent, in all seinen Dimensionen, den Kriegsverbrechen, des Missbrauchs von Energie und Nahrung als Waffen gegen Nordafrika und Europa, der Infragestellung der freien, zivilen Gesellschaft, wie wir sie von den Generationen vor uns geerbt haben und jetzt verteidigen. Die für heute angekündigte Unterzeichnung eines Abkommens zu Getreidelieferungen ist gut. Aber die Einhaltung des Abkommens wird abzuwarten sein. Bisher hat die Kremlführung zahlreiche Vereinbarungen gebrochen, schon seit Jahren. Der Beitrag Frankreichs in den verschiedenen Dimensionen auch über die Unterstützung der konventionellen Landesverteidigung im Wege der European Peace Facility hinaus ist beachtlich. Hier schließt sich der Kreis: Frankreich tut nicht nur viel für die langfristige Sicherheit, sondern auch für das unmittelbare Überleben Europas durch die Abwehr des Angriffs aus dem Kreml.

Mit Zuversicht wird uns die Bewältigung der anstehenden Herausforderungen besser gelingen. Das wünsche ich uns allen auch in diesem Sommer!

PS: Während meiner Zeit in Frankreich hat mich auch die Nachricht erreicht, dass Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner nun die Milderung des Preisanstiegs bei der Energie umgesetzt hat. Das ist beachtlich und freut mich. Weil keine Macht der freien Welt kann die Teuerung stoppen oder umkehren, sie wird aus dem Kreml noch verstärkt. Aber jede Ebene kann den Preisanstieg abmildern und Menschen so sprichwörtlich „mehr Luft zum Atmen“ geben.Niederösterreich hat das zustande gebracht! Und es folgen weitere Maßnahmen zum Teuerungsausgleich.

PPS: Ebenfalls erreicht hat mich die Rede des Bundespräsidenten zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele. Glücklich bin ich über eine zum weit überwiegenden Teil sehr staatstragende Rede, klar und deutlich, dringend und wichtig. Das stellt Österreich ein gutes Zeugnis aus, ebenso wie der Zwischenapplaus, besonders der erste, nach Minute 03:45 etwa. Nicht glücklich bin ich darüber, dass die staatstragenden Teile kaum wahrgenommen und stattdessen Worte über die Bundesregierung zumindest überinterpretiert wurden. Die Regierung zu motivieren gehört zur Job Description eines Bundespräsidenten, so wie zu jener einer Fußballtrainerin mit ihrem Team – in Zeiten der aktuellen Erfolge des Frauen-Nationalteams formuliere ich das absichtlich so. Wenn einzelne Aussagen so interpretiert werden, dass der Bundesregierung vorgeworfen werde, angesichts der Teuerung zu wenig zu tun, dann muss das ein Missverständnis sein. Denn ich kann aus dem europaweiten Vergleich sagen, dass das Paket im Umfang von 28 Milliarden Euro unserer Bundesregierung zur Milderung der Folgen der Teuerung beispiellos ist. Österreich ist in der glücklichen Lage, das leisten zu können, die Bundesregierung setzt das um, auf der Basis der Beschlüsse des österreichischen Parlaments freilich.

22. Juli 2022 Blog EU-Außenpolitik, Europa, Europäische Union, Europäisches Parlament, Innovation, Interview, Kosovo, Krieg, Österreich, Sicherheit, Sicherheitsausschuss, Sicherheitspolitik, verteidigung, Verteidigungsfähigkeit, westbalkan

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